I.
Am 8. Februar 1974
wurde vor dem Landgericht Berlin ein Vergleich geschlossen, der folgende Leiden
als Folge des dreijährigen Getto-Aufenthaltes von Peter Finkelgruen als
Kleinkind als verfolgungsbedingt anerkannte und medizinische Versorgung für
diese gewährleisten sollte:
·
postdysenterisches
Syndrom
·
chronisch-neurotische
Fehlhaltung mit Neigung zu depressiven Verstimmungen
·
neuro-vegetative
Herz-Kreislauf-Störungen als Begleiterscheinung des psychiatrischen Leidens
Dieser Vergleich
kam zustande, nachdem der medizinische Dienst des Entschädigungs-amtes wegen
der Begründung seiner Ablehnung international in die Kritik geriet. Er
behauptete,
„[...] Es sei zu bedenken, daß der
Antragsteller als Säugling im Getto Shanghai überhaupt noch nicht über eine
derartige Bewußtseinslage verfügte, daß er überhaupt hätte neurotisch
reagieren können [...]“
(siehe Vorwort zur
Manualia Nicolai, den Protokollen anläßlich der II. Internationalen
Medizinisch-Juristischen Konferenz in Düsseldorf, 1969.)
Die folgenden Jahre
verliefen problemlos, was die Kostenübernahme für Medikamente und Behandlungen
durch das Entschädigungsamt betraf. Erst Mitte der neunziger Jahre bemerkte
Peter Finkelgruen, daß die Kostenübernahmen für einzelne Medikamente, die zur
Behandlung des erhöhten Blutdrucks (Herz-Kreislauf-Störungen) dienten, erst
sporadisch, dann kontinuierlich abgelehnt wurden.
Im Januar 2006 erlitt
Peter Finkelgruen einen Herzinfarkt. Der ärztliche Dienst des
Entschädigungsamtes lehnte die Übernahme der Kosten mit der Begründung ab, der
Herzinfarkt stünde nicht in Zusammenhang mit den anerkannten neuro-vegetativen
Herz-Kreislauf-Störungen.
Die private
Krankenkasse, bei der Peter Finkelgruen seinerzeit versichert war, und bei der
die verfolgungsbedingten Leiden vertraglich vom Versicherungsschutz ausgenommen
waren, lehnte die Begleichung der Rechnungen ab, mit dem Hinweis, es handele
sich um ein verfolgungsbedingtes Leiden und ließ ein Gutachten erstellen, das
diese Feststellung untermauerte.
Eine im Juli 2006
eingereichte Klage gegen das Entschädigungsamt hat bislang zu keiner
Entscheidung geführt. Ein von Finkelgruens Rechtsanwalt gestellter Verschlimmerungsantrag
hatte Erfolg, wobei der ärztliche Dienst und das Entschädigungsamt nicht dem
vom eigenen Gutachter konstatierten Grad der MdE (Minderung der
Erwerbsfähigkeit) gefolgt war. Dagegen richtete sich eine zweite Klage. Das vom
Amt in Auftrag gegebene Gutachten stellte auch den Herzinfarkt als Teil
des verfolgungsbedingten Leidens fest. Von dieser Linie weicht alleine ein
internistisches Zusatzgutachten ab, das vom Entschädigungsamt bei dem
Mediziner in Auftrag gegeben wurde, welcher Peter Finkelgruen seinerzeit
während des Herzinfarktes behandelte. Dieser lehnte es schon damals ab, die
verfolgungsbedingten Leiden überhaupt bei der Anamnese zu berücksichtigen. Er
konstatierte einzig:
„Der emotionale Stress als möglicher
Risikofaktor ist in diesem Zusammenhang zu vernachlässigen“.
Ein halbes Dutzend
weiterer Gutachten, die teils von Peter Finkelgruen, teils vom Landgericht
Berlin, sowie vom Entschädigungsamt selbst in Auftrag gegeben worden waren,
stimmen dahingehend überein, daß der Herzinfarkt eine Folge bzw. eine Begleiterscheinung
der als verfolgungsbedingt anerkannten Leiden sei.
Auch das „Programm
für Nationale Versorungsleitlinien“ dessen Träger die Bundesärztekammer,
die kassenärztliche Bundesvereinigung, sowie die Arbeitsgemeinschaft der
wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften ist, hat psychosozialen
Stress als Risikofaktor für chronische Herz-Kreislauf-Erkrankungen
festgeschrieben. Auch die europäischen Versorgungsleitlinien treffen eine
nahezu identische Grundaussage.
II.
Im Verlauf der
Auseinandersetzungen mit dem Entschädigungsamt stellte Peter Finkelgruen
fest, daß das Entschädigungsamt Berlin, aber auch andere Entschädigungsämter
in der Bundesrepublik die Anspruchsberechtigten nicht über die Möglichkeit
ihrer Ansprüche nach § 141a Bundesentschädigungsgesetz informieren.
§ 141a
(1) Der Verfolgte, dessen Anspruch auf
Rente für Schaden an Leben oder für Schaden an Körper oder Gesundheit oder auf
Soforthilfe durch Bescheid, Vergleich oder rechtskräftige gerichtliche Entscheidung
festgesetzt worden ist, hat Anspruch auf Krankenversorgung für nicht
verfolgungsbedingte Leiden. Der Anspruch besteht nur, solange der Verfolgte
seinen Wohnsitz oder dauernden Aufenthalt im Geltungsbereich dieses Gesetzes
hat.
(2) Der Verfolgte (Absatz 1) hat Anspruch
auf Krankenversorgung auch für den Ehegatten und für die Kinder, solange für
diese nach dem bis zum 31. Dezember 1974 geltenden Beamtenrecht Kinderzuschläge
gewährt werden können, wenn sie mit ihm in häuslicher Gemeinschaft leben oder
von ihm überwiegend unterhalten werden. Absatz 1 Satz 2 gilt sinngemäß.
(3) Der Anspruch nach den Absätzen 1 und 2
ist ausgeschlossen,
1. soweit ein
entsprechender Anspruch gegen einen Sozialversicherungsträger besteht,
2. soweit ein
entsprechender Anspruch aus einem Vertrag (ausgenommen Ansprüche aus einer
privaten Kranken- oder Unfallversicherung) besteht,
3. wenn das Einkommen des Verfolgten die
für die gesetzliche Krankenversicherungspflicht maßgebende
Jahresarbeitsverdienstgrenze übersteigt; im Falle des Absatzes 2 ist der
Anspruch auch ausgeschlossen, wenn das Einkommen des Ehegatten oder des Kindes
diese Jahresarbeitsverdienstgrenze übersteigt.
(4) Der Anspruch nach den Absätzen 1 und 2
ist weder übertragbar noch vererblich.
Damit verstößt die Behörde, gegen ihre
Verpflichtung nach § 25 Verwaltungsverfahrensgesetz:
§ 25 Beratung, Auskunft
(1) Die Behörde soll die Abgabe von
Erklärungen, die Stellung von Anträgen oder die Berichtigung von Erklärungen
oder Anträgen anregen, wenn diese offensichtlich nur versehentlich oder aus
Unkenntnis unterblieben oder unrichtig abgegeben oder gestellt worden sind. Sie
erteilt, soweit erforderlich, Auskunft über die den Beteiligten im
Verwaltungsverfahren zustehenden Rechte und die ihnen obliegenden Pflichten.
(2) Die Behörde erörtert, soweit
erforderlich, bereits vor Stellung eines Antrags mit dem zukünftigen
Antragsteller, welche Nachweise und Unterlagen von ihm zu erbringen sind und in
welcher Weise das Verfahren beschleunigt werden kann. Soweit es der Verfahrensbeschleunigung
dient, soll sie dem Antragsteller nach Eingang des Antrags unverzüglich
Auskunft über die voraussichtliche Verfahrensdauer und die Vollständigkeit der
Antragsunterlagen geben.
Die
Entschädigungsämter schädigen die Berechtigten auf die genannte Art und Weise
in doppelter Hinsicht. Sie bürden ihnen einerseits unnötige Kosten in Form von
Krankenkassenbeiträgen auf, die über Jahrzehnte bezahlt werden müssen und
zwingen sie andererseits durch ihre Vorgehensweise, eine Vielzahl von durchaus
berechtigten Ansprüchen von vornherein als nicht verfolgungsbedingt abzulehnen,
für Behandlungskosten in Vorleistung zu treten.
Im übrigen scheinen
die Entschädigungsämter die ihnen Anvertrauten generell als eine Art lästiger
Bittsteller zu betrachten. Die Beweislast liegt immer und grundsätzlich auf
Seiten der Antragsteller, die Behörde entscheidet nach Gutdünken, was sie
bewilligt, und von Datenschutz hat man wohl auch noch nie etwas gehört: Im Fall
von Peter Finkelgruen hat der ärztliche Dienst des Entschädigungsamtes Berlin
ohne Wissen und Zustimmung durch Peter Finkelgruen vom Klinikum Oldenburg die
Übersendung von Krankenberichten und Akten verlangt. Peter Finkelgruen erfuhr
erst davon, als das Klinikum Oldenburg reichlich konsterniert bei ihm anfragte,
ob er die Akten denn freigeben würde. Etwa zur gleichen Zeit forderte der
ärztliche Dienst Peter Finkelgruens Anwalt auf, diesen nicht über die
Stellungnahme des ärztlichen Dienstes zu unterrichten.
Andererseits
verlangt die Entschädigungsbehörde von Peter Finkelgruen und allen anderen
anspruchsberechtigten Rentnern alljährlich eine sogenannte Lebensbescheinigung,
die durch persönliches Erscheinen auf dem zuständigen Ordnungsamt erbracht
werden muß, andernfalls wird damit gedroht, die Rentenzahlungen einzustellen.
Bezeichnenderweise geschieht dies im Fall der BEG-Rentner aber nicht der
sogenannten „normalen“ Rentner der BfA oder anderer Rententräger.
Quelle und
©:
Peter
Finkelgruen
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