Protest gegen das Berliner Entschädigungsamt

 

 

 

Jüdisch-deutscher Schriftsteller startet Hungerstreik

von Ulrich W. Sahm

Quelle: http://www.hagalil.com/archiv/2009/11/01/finkelgruen/

 

 Jerusalem, 29. Oktober 2009

Peter Finkelgruen, deutsch-jüdischer Journalist und Schriftsteller aus Köln, will aus Protest gegen das Berliner Entschädigungsamt „unbefristet fasten“.

Am 9. November, dem Gedenktag für die „Reichskristallnacht“ von 1938, will Finkelgruen am Stelenfeld des Berliner Holocaust-Mahnmals die Begründung für seinen Hungerstreik öffentlich machen.

Das Entschädigungsamt ist zuständig für die Versorgung der politisch, rassisch oder religiös Verfolgten des Nationalsozialismus, abgekürzt PrVG. Finkelgruen wurden körperliche wie psychische Schäden als Folge seiner traumatischen Erlebnisse als Kleinkind im jüdischen Getto Schanghai diagnostiziert, wo Finkelgruen 1942 zur Welt kam. Seine von den Nazis verfolgten Eltern waren dorthin geflüchtet.

Das Entschädigungsamt verweigerte schon 1969 die Zahlung der Medikamente und Krankenhausaufenthalte Finkelgruens mit dem Argument:  „Es sei zu bedenken, daß der Antragsteller als Säugling im Getto Shanghai überhaupt noch nicht über eine derartige Bewußtseinslage verfügte, daß er überhaupt hätte neurotisch reagieren können.“ Heute begründet das Amt seine Ablehnung, Finkelgruens Herzinfarkt hätte „zeitnah“ zur Schädigung als Kleinkind stattfinden müssen.

Am 23. Oktober 2009 schrieb Finkelgruen an den Leiter der Entschädigungsbehörde, Jürgen Raabe: „Beamte des NS Systems haben meine ersten Lebensjahre beschädigt, indem sie den Willen des Gesetzgebers umgesetzt haben. Beamte der demokratischen Bundes­republik verbittern mir meine letzten Lebensjahre, indem sie den Willen des Gesetzgebers nicht umsetzen.“

Im Geschäftsbericht 2008 werden die wesentlichen Leistungsdaten und Ergebnisse der „wirkungsorientierten ganzheitlichen Steuerung des Amtes“ dargelegt, mitsamt einem „Zahlenteil für die wichtigsten Produkte“. Die Zahl der „kompetent und flexibel“ behan­delten „Kundinnen und Kunden“ dieser Behörde mit „strategischem Zielfeld“ nahm zwischen 2004 und 2008 rapide von 7165 auf 5500 ab.

Die Naziverfolgten, abgekürzt „PrVG“, sind laut Statistik der Behörde (2006) ein „Produkt“ mit „Stückpreis“. Finkelgruen stellte fest, dass er kein Einzelfall sei, der dank der „Wirtschaftlichkeit bei diesem Produkt“ von der Hilfe für Geschädigte des Nazi-Regimes ausgeschlossen worden war. „Dazu gehört durchaus, Verfahren auf die lange Bank der Rechtsprechung zu schieben, wobei Alter und Krankheitsstand der Berechtigten unbe­rücksichtigt bleiben. Ihr Ableben während des zermürbenden  Kampfes um ihre Rechte wird offenbar in Kauf genommen,“ schreibt Finkelgruen. „Ich habe ein Jahrzehnt meines Lebens gebraucht um den Mörder meines Großvaters vor Gericht zu bringen. Ich will nicht die letzten Jahre meines Lebens damit verbringen, gegen das Fehlverhalten Ihrer Behörde anzugehen.“

Ab 1980 erforschte Finkelgruen das Schicksal seines Großvaters. Der war im Gestapo-Gefängnis „Kleine Festung Theresienstadt“ nahe Prag von dem 1912 in Insbruck geborenen österreichischen SS-Oberscharführer Anton Malloth ermordet worden. Häftlinge nannten den Massenmörder »Schöner Toni«. Er folterte alte Frauen und quälte sie zu Tode.

Nach Kriegsende, im September 1948, wurde Malloth in Litomerice (CSR) zum Tode verurteilt. Obwohl er auf der Fahndungsliste der UN-Kommission für Kriegsverbrechen (UNWCC) stand, lebte er unbehelligt in Meran. 1988 wies die italienische Regierung Malloth aus, ließ ihn aber, wegen drohender Verhaftung in Österreich, nach München fliegen.

Die »Zentralstelle für die Bearbeitung von nationalsozialistischen Massenverbrechen bei der Staatsanwaltschaft Dortmund« stellte das Ermittlungsverfahren gegen Malloth mehrmals ein: »Kein hinreichender Tatverdacht«. Finkelgruen wurde verurteilt, die Gerichtskosten zu tragen. Malloth lebte derweil auf Kosten des Steuerzahlers in einem Seniorenheim in Pullach. Im Mai 2000 griff die Staatsanwaltschaft München den Fall auf. Am 30. Mai 2001 verurteilte ihn das Landgericht München wegen Mordes und versuchten Mordes zu lebenslanger Haft. Malloth starb 2002.

Die Recherchen zur Ermordung seines Großvaters dokumentierte Peter Finkelgruen in seinen autobiographischen Büchern „Haus Deutschland. Die Geschichte eines ungesühnten Mordes“ und „Erlkönigs Reich. Die Geschichte einer Täuschung“. Der israelische Dramatiker Jehoschua Sobol verarbeitete die Geschichte für das Theaterstück „Schöner Toni“. 1998 drehte der Dokumentarfilmer Dietrich Schubert einen Film über Peter Finkelgruen: „Unterwegs als sicherer Ort“.

1981 wurde Finkelgruen als Korrespondent der Deutschen Welle nach Israel entsandt. Kurz vor einem offiziellen Besuch von Bundeskanzler Kohl teilte der Presseattaché der deutschen Botschaft in Tel Aviv mit, dass wegen „Platzmangels“ nur die „entsandten“ und nicht die „ortsansässigen“  Korrespondenten zu dem Staatsessen zu Ehren Kohls eingeladen würden. Obgleich von der Deutschen Welle „entsandt“, stand Finkelgruen nicht auf der Einladungsliste. In Anwesenheit Finkelgruens und einem Dutzend Journalisten entfuhr es dem Diplomaten: „Aber der ist doch Jude“. Um einen Eklat zu vermeiden, sorgte der deutsche Botschafter, dass doch alle deutschen Journalisten, ungeachtet ihres „Status“ oder ihrer Religions­zugehörigkeit zu dem offiziellen Dinner eingeladen wurden.

Ulrich W. Sahm

 

Links:

http://de.wikipedia.org/wiki/Peter_Finkelgruen

http://de.wikipedia.org/wiki/Anton_Malloth

http://www.berlin.de/labo/struktur/berichte.html

http://www.berlin.de/imperia/md/content/labo/geschaeftsberichte/geschaeft2006.pdf?start&ts=1253693934  Bitte besonders Seite 11 beachten

http://www.hagalil.com/archiv/98/03/malloth2 .

 

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Kontakt:  Brigitte Gensch

 

 

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